Critical loads Stickstoff

Inhaltsverzeichnis

Umweltdaten Bericht 2024 01.11.2024

Flächenspezifische Critical Loads für Stickstoff am Beispiel von FFH-Mähwiesen

Mit einer Stickstoffbilanz lässt sich die Wirkung von Stickstoff verstehen und bewerten. Turnusmäßig soll nun eine vor zehn Jahren veröffentlichte Methode ersetzt werden, um den Umgang mit Stickstoff deutlich zu verbessern.

Die Bund-Länder-Initiative Critical Loads

Die konkreten Belastungsgrenzen für Stickstoff werden bislang mit einer Interimslösung bestimmt. Ziel einer Bund-Länder-Initiative ist es daher, diese Interimslösung durch empirische Daten abzusichern und zu ersetzen. Die neue Methode umfasst Critical Level für Ammoniakkonzentration und Critical Loads für die Stickstoffdeposition und soll die Qualitätssicherung beim Stickstoffmanagement, bei der Genehmigung von Anlagen und bei der Planung von Maßnahmen zur Stickstoffminderung und Wiederherstellung deutlich verbessern (siehe unten Hintergrund Bund-Länder-Auftrag und StickstoffBW).

Vereinfachung durch Einführung von drei Trophiestufen

Während mit der Interimslösung bislang noch zahlreiche, kaum quantifizierbare Einflussfaktoren unterschieden wurden, sieht das neue Verfahren jetzt vereinfachend nur noch drei Trophiestufen (Tr1-Tr3) je Lebensraumtyp vor.

Die Zuweisung zu einer der Trophiestufen erfolgt anhand der Kriterien Magerkeitszeiger und Strukturmerkmale. Diese Klassifizierung richtet sich, sofern Stickstoff ursächlich ist, nach der von Bund und Ländern festgelegten Definition des Erhaltungszustands (Erhaltungsgrades (Hinweis siehe Artikelende)) gemäß FFH-Richtlinie (Abbildung).

Die Zuordnung zu einer höheren Trophiestufe wird entweder durch anthropogene Einflüsse, wie ein Missverhältnis zwischen den über Dekaden anhaltenden Stickstoffdepositionen und den durch die Nutzung beeinflussten Stickstoffflüssen, oder durch natürliche Gegebenheiten, wie günstige Boden- und Klimaverhältnisse, begründet.

Die Trophiestufen zeichnen sich durch signifikante Unterschiede im Stickstoffumsatz des Bodens aus, was sich wiederum auf die Biomasseproduktion auswirkt. Die Biomasseproduktion dient als wesentlicher Indikator für die Präsenz von Magerkeitszeigern. Ein erhöhter Stickstoffumsatz ermöglicht generell die Akzeptanz höherer Stickstoffeinträge, um den gewünschten Erhaltungsgrad zu gewährleisten. Folglich erhöht sich mit jeder Trophiestufe in der Regel die Grenze der tolerierbaren Stickstoffbelastung.

Die Festlegung der Trophiestufe durch die Naturschutzbehörde orientiert sich am Stichtag der FFH-Richtlinie (Soll-Zustand, häufig ist der Tag der ersten Kartierung des Erhaltungsgrades ausschlaggebend) unter Beachtung von Wiederherstellungszielen.

Erweiterte Massenbilanz für präzisere Berechnungen

Die Ermittlung von flächenspezifischen Critical Loads basiert auf einer einfachen Massenbilanz (CLSMB simple mass balance). Sie besteht künftig aus acht anstelle von bisher fünf Bilanzgliedern (Tabelle und Gleichung 1). Mit den zusätzlichen Bilanzgliedern kann nun auch die reale Biomasseproduktion und die Auswirkungen von Düngung oder Beweidung auf die Lebensraumtypen abgebildet werden.

Bilanzglieder der erweiterten Massenbilanz

zur Ermittlung der Critical Loads (CLSMB)

Alle Bilanzglieder in Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr (kg N ha-1 a-1).

Quelle: LUBW / StickstoffBW
Flussrichtung Abkürzung und Bedeutung Erläuterung Stand
Austrag Nle leaching N-Auswaschung mit dem Sickerwasser -
Nue uptake export N-Abfuhr mit der Ernte (von der Nutzung abhängig) -
Nde denitrification Denitrifikation -
Ni immobilization N-Immobilisierung im Humus (Bodenbildung) -
Nvol volatilization N-Emission als Ammoniak (bei Weide und Düngung) NEU
Eintrag Nfert fertilization N-Düngung NEU
Nsym symb. fixation N-Fixierung durch Leguminosen NEU
Ndep [=> CLSMB] N-Deposition -

Gleichung 1: N-Austrag (Nle + Nue + Nvol + Nde + Ni) = N-Eintrag (Nfert + Nsym + Ndep)

Diese allgemeingültige Bilanzformel (Gleichung 1) ist auch für Stoffflussbilanzen auf Agrarflächen, zur Düngebedarfsermittlung oder künftig für die Berechnung von kritischen Stickstoffüberschüssen in der Landwirtschaft (Critical Surplus) anwendbar. Bei der Anwendung der Gleichung ist zu beachten, welche Größe als Zielwert betrachtet wird (hier Ndep => CLSMB) und ob für die restlichen Bilanzglieder reale IST-Werte oder SOLL-Werte eingesetzt werden.

Berechnung der Critical Loads für einen idealtypischen Zustand (SOLL)

Der Critical Load ist der zur Aufrechterhaltung eines idealtypischen Trophiezustands maximal tolerierbare, langjährige N-Eintrag aus der Luft. Der flächenspezifische Critical Load (CLSMB) ist damit rechnerisch ein Maximalwert für die Stickstoffdeposition (Ndep). Nach Ersetzen von Ndep durch CLSMB in Gleichung 1 und Umstellung der einfachen Bilanzformel wird der flächenspezifische Critical Load (CLSMB) gemäß Gleichung 2 berechnet.

Gleichung 2: CLSMB = Nle + Nue + Nvol + Nde + Ni - Nfert - Nsym

Alle Bilanzglieder - mit Ausnahme von CLSMB (Ndep) - beziehen sich auf einen idealtypischen Trophie-Zustand (SOLL) der 1950er Jahre, der als Durchschnitt über 100 Jahre angenommen wird (Fachkonvention). Der idealtypische SOLL-Zustand ist vereinfachend ohne Co-Limitierung definiert (im IST-Zustand wirken gegebenenfalls zusätzlich limitierende Wachstumsfaktoren wie Phosphor oder Kalium).

Wenn die reale N-Deposition den berechneten CLSMB-Wert übersteigt, resultiert dies in einem N-Überschuss im Ökosystem, was abhängig von der Trophiestufe zu einer Reihe von negativen Effekten führen kann. Dazu gehören eine Zunahme der Biomassenproduktion, ein Rückgang von Magerkeitszeigern, eine verstärkte Nitrat-Auswaschung, erhöhte Ammoniakemission sowie weitere schädliche Auswirkungen auf Fauna und Flora.

Die Empirischen Critical Loads (CLemp) werden international auf Basis der Ergebnisse zahlreicher Studien festgelegt und definieren Wertebereiche, die als Referenzspannen für die Bestimmung von flächenspezifischen Critical Loads CLSMB dienen. Die Ermittlung flächenspezifischer Critical Loads berücksichtigt eine idealtypische Nutzung, die aus Sicht des Naturschutzes begründet ist. Das methodische Ziel ist es sicherzustellen, dass der berechnete Critical Load (CLSMB) innerhalb des Bereichs der empirischen Critical Loads bleibt, wie er durch vorherige empirische Untersuchungen definiert wurde.

Die Art der Nutzung, sei es als Wiese oder Weide mit oder ohne Pferch (beziehungsweise nächtlichem Stalleintrieb), hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Stickstoffentzüge und folglich auch auf den Critical Load. Die Stickstoffentzüge verringern sich von gemähten Wiesen über Weiden mit Pferch bis hin zu Weiden ohne Pferch, wodurch auch die Critical Loads entsprechend abnehmen. Im Falle von FFH-Mähwiesen wird der Critical Load auch durch eine idealtypische Düngung entsprechend der Trophiestufe bestimmt. Bei ungenutzten Lebensraumtypen ist die Auswaschung mit dem Sickerwasser oft ausschlaggebend.

Unten ist die Massenbilanz für den idealtypischen Zustand und die idealtypische Nutzung für magere Flachland-Mähwiesen (LRT 6510) dargestellt (nach Gleichung 1). Von Tr1 nach Tr3 steigen sowohl der N-Eintrag durch Düngung und die biologische N-Fixierung als auch der N-Austrag durch Biomasseabfuhr erheblich an. Wenn der N-Eintrag langfristig unter dem N-Austrag liegt, verringert sich der mineralisierbare organische N-Pool, der potenziell für Pflanzen verfügbar ist und es entwickelt sich ein Zustand mit geringerer Trophie (der in der Regel eine Zunahme der Magerkeitszeiger erzeugt).

Die Festlegung der CLSMB-Werte erfolgt auf der Grundlage von vereinfachten Annahmen bezüglich der in der CLSMB-Bilanzierung berücksichtigten Bilanzglieder (Tabelle: Erläuterung der Bilanzglieder). Diese Vereinfachungen bedingen, dass alle resultierenden CLSMB-Werte mit Unsicherheiten behaftet sind. Um diese Ungenauigkeiten zu adressieren, ist vorgesehen, dass die berechneten Bilanzsummen nur innerhalb eines definierten Prozentsatzes von den festgesetzten Grenzen der international etablierten Empirischen Critical Loads (CLemp) abweichen dürfen. Die Konkretisierung dieser Regelung wird in Abstimmung mit dem zuständigen Bund- und Ländergremium finalisiert.

Anwendungsbereich und Ausblick

Die Einführung eines standardisierten „CL-Datenblatts" (Tabelle: Auszug aus der CL-Datenmappe, Download am Textende) ermöglicht eine transparente und nachvollziehbare Festlegung von Belastungsgrenzen. Diese Standardisierung ist sowohl für Genehmigungsbehörden als auch für Bundes- und Landesbehörden entscheidend. Sie ermöglicht eine einheitliche Methodik bei der Erfassung und dem Abgleich von Überschreitungen der Critical Loads in regionalen und nationalen Berichten.

Die Anwendung der vereinfachten Bilanzierungsmethode wird für bestimmte Ökosystemtypen wie Moore, Sümpfe, Auwälder, Felsformationen und Schutthalden aufgrund unzureichender Datenbasis nicht empfohlen. Ferner wird die detaillierte Implementierung dieser Methode für seltene Lebensraumtypen in Baden-Württemberg, wie beispielsweise die Binnendünen mit Heideflächen (LRT 3210), die in BW nur auf einer Fläche von 3 von bundesweit 2682 Hektar vorkommen, zunächst ausgesetzt. Die Setzung von CL-Werten für diese spezifischen Fälle erfolgt von der BW-Arbeitsgruppe Critical Loads in Abstimmung mit Bund-Ländergremien.

Die Methodik zur Ermittlung von flächenspezifischen Critical Loads wird aktuell in einer Anleitung (CL-Anleitung) zusammengestellt. Die Einführung von Trophiestufen als bundesweites Instrument zur Ermittlung von Critical Level und Critical Loads ermöglicht ein sach- und praxisgerechtes Trophiemanagement und unterstützt den Vollzug zum Schutz und zur Wiederherstellung der empfindlichen Lebensräume.

Hintergrund Bund-Länder-Auftrag und StickstoffBW

Die hier vorgestellte Neufassung der Belastungsgrenzen für Stickstoff basiert auf einem Bund-Länder-Beschluss im Zuge der Veröffentlichung der Interimslösung und einem Ministerratsbeschluss zu StickstoffBW im Jahr 2014. Die Interimslösung sollte nach 10 Jahren ersetzt werden. Anwendungsbereiche sind die Umsetzung der §§ 30 und 34 BNatSchG und Genehmigungen nach TA Luft Anhang 8 und 9. Auch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen eines bundesweit ungünstig-schlechten Erhaltungszustands der FFH-Mähwiesen und die geplante Wiederherstellung der Natur erfordern einen detaillierten Blick auf den Stickstoffhaushalt.

Für die Neubewertung der Belastungsgrenzen für FFH-Lebensraumtypen wurde ein StickstoffBW-Forschungswettbewerb durchgeführt und im Rahmen von sechs Forschungs- und Entwicklungsvorhaben historische und aktuelle empirische Daten zu N-Flüssen und Vegetationsaufnahmen ausgewertet. Die Ergebnisse wurden in der StickstoffBW-Arbeitsgruppe Critical Loads diskutiert und mit Empfehlungen zur Umsetzung der FFH-Richtlinie (BfN-Handbuch), Bund-Länder-Vereinbarungen zur Ermittlung des FFH-Erhaltungsgrades, den Publikationen des Umweltbundesamtes zu Critical Level und empirischen Critical Loads sowie einem internationalen Methodenhandbuch (ICP-Mapping Manual des CCE Coordination Centre for Effects) zusammengeführt. Auf dieser Basis wurde die neue Fachkonvention für die flächenspezifischen Critical Loads entwickelt. Details der CL-Anleitung werden aktuell noch in Bund-Länder-Gremien diskutiert.

Erläuterung der Bilanzglieder zur Ermittlung der flächenspezifischen Critical Loads

Quelle: LUBW / StickstoffBW
Bilanzglied Erläuterung
Nle leaching

Die Auswaschung mit dem Sickerwasser (Nle) berechnet sich aus der kritischen Stickstoffkonzentration (Ncrit) und der Sickerwassermenge beim Austritt aus dem Wurzelbereich. Ncrit wird aus Studien zur Stickstoffsättigung der Böden und durch Vergleiche sowie Messungen in Wäldern und im Offenland abgeleitet.

Die Sickerwassermenge wird mit dem Bodenwasserhaushaltmodell GWN-BW auf Basis der nutzbaren Feldkapazität und Landnutzung geschätzt. Für die Ermittlung der CL wird die Sickerwassermenge zuzüglich 50% der schnellen lateralen Abflusskomponenten (der ungesättigten Zone) angesetzt.

Ein Limit für Nle ist gesetzt, um Überbewertungen der N-Auswaschung bei hohen Sickerwasserraten zu vermeiden, basierend auf Zielwerten für Oberflächengewässer in Baden-Württemberg.
Nue uptake export

Der Export von Stickstoff durch Biomasse (Nue) hängt vom jährlichen Biomasseentzug und den Stickstoffgehalten des Aufwuchses zum Zeitpunkt der Ernte oder Beweidung ab. Dies umfasst Wiesen und Weiden, mit oder ohne Pferch, wobei relevante Parameter aus der Literatur entnommen und Faktoren zur Berechnung der Biomassenaufnahme durch Weidetiere, deren Stickstoffretention und -ausscheidungen festgelegt wurden. Im Wald basiert der Stickstoff-Export auf Daten der Bundeswaldinventur, ohne Berücksichtigung eines Abschlags für den Minderwuchs in den 1950er Jahren, da der Zuwachs in den letzten Jahrzehnten aufgrund des Klimawandels gestiegen ist.

Nde denitrification

Die Denitrifikationsrate berechnet sich als Produkt von Nle (N-Auswaschung) als Maß für das verfügbare Nitrat und einen standortspezifischen dimensionslosen Denitrifikationsfaktor (fde). Der Denitrifikationsfaktor ist insbesondere bei geringer Wasserdurchlässigkeit im Boden erhöht. In Zukunft kann die standortspezifische Denitrifikationsrate anhand der bereitgestellten Sickerwassermenge, die durch den Kartendienst der LUBW verfügbar gemacht wird, abgeschätzt werden. Diese Sickerwassermenge dient als eine wichtige Variable in der Gleichung zur Berechnung der Denitrifikationsrate.

Ni immobilization

Eine bedeutsame N-Immobilisierung über 1 kg N ha-1 a-1 erfolgt im Anfangsstadium der Bodenentwicklung in Form von Humusbildung. Das betrifft in Baden-Württemberg z. B. die LRT 2330 Binnendünen mit Magerrasen, LRT 6110 Kalk-Pionierrasen und LRT 6120 Blauschillergrasrasen. In älteren Bodenbildungen (über 10.000 Jahre) wird von einer minimalen Netto-N-Immobilisierungsrate ausgegangen. Der langfristige Einfluss des Klimawandels auf die Immobilisierung ist aktuell unklar bleibt daher unberücksichtigt.

Nvol volatilization

In Wäldern und bei den meisten Offenland-Lebensraumtypen ist langfristig kein zusätzlicher Düngebedarf gegeben. Ausnahmen bilden FFH-Mähwiesen, die historisch gelegentlich organisch gedüngt wurden. Für diese Lebensräume wurden je nach Trophiestufe Düngemengen zwischen 5 und 30 kg N ha-1 a-1 festgelegt, wobei höhere übliche Düngemengen zu strengeren Critical Loads führen.

Nsym symbiontic fixation

Einige Offenland-Lebensräume, wie Flachlandmähwiesen, erhalten signifikante Stickstoffmengen durch symbiotische N-Fixierung (Nfix) über Leguminosen. Nfix wird berechnet aus dem Leguminosen Ertragsanteil und einem Faktor für die N-Fixierung (0,04 kg N ha-1 a-1 je Prozentpunkt Ertragsanteil). Der Leguminosenanteil ist bei intensiver N-Düngung reduziert. Die asymbiontische N-Bindung durch freilebenden Bakterien ist gering und wurde aufgrund der Datenunsicherheiten nicht berücksichtigt (d. h. der Critical Load wird bei Berücksichtigung der asymbiontischen N-Bindung etwas niedriger ausfallen).

Hinweis

Der Begriff Erhaltungsgrad wird hier gemäß der Berichterstattung an die EU (anstelle Erhaltungszustand) für die Gebietsebene (wie BW) und für Einzelvorkommen verwendet.


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